In einer stillen Aue in Niedersachsen läuft seit mehr als drei Jahrzehnten ein ökologisches Experiment ab. Anfang der 1990er Jahre waren 300 Hektar intensiv genutztes Ackerland Teil eines staatlich geförderten Naturschutzprojekts zur Renaturierung von artenreichem Grünland. Doch wie erfolgreich war diese Renaturierung? Sind Artenvielfalt und Ökosystemfunktionen zurückgekehrt?
Eine neue Studie von Lunja Ernst und Kolleg:innen, darunter Vicky Temperton vom Institut für Ökologie der Leuphana, geht diesen Fragen auf den Grund. Indem sie wiederhergestellte Grünlandflächen mit nahe gelegenen alten Dauergrünlandflächen vergleichen, bewerten die Wissenschaftler:innen, welche Artengruppen zurückgekehrt sind, welche noch fehlen und was dies über die Bestandteile einer erfolgreichen Renaturierung aussagt.
Ihre Ergebnisse sind recht aufschlussreich: Die Wiederherstellung des Artenreichtums ist möglich, aber die Wiederherstellung ökologischer Funktionen und spezialisierter Gemeinschaften erfordert weit mehr als das Ausstreuen von Samen.
Gründlandrenaturierung an einer Flussaue
Das Untersuchungsgebiet befindet sich in der Ise-Aue im Landkreis Gifhorn, Niedersachsen. Die Landschaft ist ein Mosaik aus Wäldern, Ackerflächen, Heideflächen, Dauergrünland und wiederhergestelltem Grünland. Die Region ist typisch für Mitteleuropa, wo historische Wiesen mit geringer Nutzungsintensität und hoher Artenvielfalt nach und nach durch intensivierte Landwirtschaft ersetzt wurden.
Zwischen 1991 und 1992 sollten in diesem Gebiet ehemalige Ackerflächen in artenreiches Grünland umgewandelt werden, allerdings unter Verwendung einer artenarmen landwirtschaftlichen Saatgutmischung: sechs Grasarten und eine Leguminose. Die Idee war pragmatisch: Schnellwüchsiger, produktive Arten aussäen und den Rest der Natur überlassen. Man hoffte, dass nahe gelegene alte Grasflächen als Samenquelle dienen würden, die im Laufe der Zeit eine spontane Wiederbesiedlung ermöglichen würden.
In der vorliegenden Studie werden 14 dieser wiederhergestellten Standorte mit 14 nahe gelegenen alten Grünlandflächen verglichen, die kontinuierlich in geringer Intensität genutzt und nie in Ackerland umgewandelt wurden. Zwei Jahre lang untersuchten die Forschenden Pfanzen und Schmetterlinge, wobei sie sich auf Gruppen konzentrierten, die Indikatoren für den Erfolg von Renaturierung sind: mesotrophe und feuchte Grünlandpflanzen, blühende Kräuter, Arten der Roten Liste und auf Grünland spezialisierte Schmetterlinge.

Die Methodik: Renaturierung aus verschiedenen Blickwinkeln
Das Forschungsdesign ist so sorgfältig wie der Wiederherstellungsprozess, der bewertet wird. Um die Komplexität der ökologischen Dynamik zu erfassen, bewerten Ernst, Temperton und Kolleg:innen:
- Artenreichtum und Bedeckung von Pflanzengruppen auf der Grundlage von Felduntersuchungen von Mai bis Juni 2020 und 2021 auf einer Gesamtfläche von 25 m2, die in fünf 1 m² und eine 20 m² große Parzelle pro Standort unterteilt ist.
- Schmetterlingsvielfalt und -abundanz anhand von vier Erhebungsrunden mit Transekten an denselben Standorten von Mai bis September 2020.
- Lebensraumvernetzung/Konnektivität durch QGIS-basierte (geografisches Informationssystem) Analyse von Landschaftsmetriken: Entfernung zum nächstgelegenen alten Grünland und prozentualer Anteil der alten Grünlandflächen innerhalb eines 500 m-Puffers.
- Landnutzungsintensität (LUI) anhand eines wiesenspezifischen Indexes, der Mähhäufigkeit und Stickstoffeintrag kombiniert.
Durch die Anwendung statistischer Modelle und Ordinationstechniken konnte das Forschungsteam den Einfluss der lokalen Bewirtschaftung (z. B. Mahd und Düngung) und des landschaftlichen Kontextes (z. B. räumliche Isolierung) auf die Verteilung der Arten und die Zusammensetzung der Lebensgemeinschaften aufschlüsseln.
Was funktionierte und was nicht
Die gute Nachricht: Der Gesamtartenreichtum der Pflanzen war in den wiederhergestellten und den alten Grünlandflächen ähnlich. Dies deutet darauf hin, dass eine Wiederbesiedlung aus der umgebenden Landschaft stattgefunden hat.
Allerdings ist die Geschichte etwas differenzierter. Die Arten des Feuchtgrünlands waren in den wiederhergestellten Grünlandflächen deutlich seltener und weniger zahlreich vertreten. Diese Arten gediehen auf altem Grünland, insbesondere auf solchen mit natürlichen Senken und feuchten Mikrostandorten – Merkmale, die auf ehemaligen Ackerflächen fehlen. Der Reichtum an mesotrophen, Rote-Liste- und Blütenpflanzen-Arten und deren Deckung unterschieden sich nicht signifikant zwischen alten und wiederhergestellten Standorten, aber alle nahmen bei höherer Landnutzungsintensität (LUI) stark ab. Wiederhergestellte Standorte wiesen einen höheren Reichtum an Arten des landwirtschaftlichen Grünlands auf, was wahrscheinlich auf die ursprüngliche Saatgutmischung und die laufende Bewirtschaftung zurückzuführen ist. Die Landnutzungsintensität spielt eine entscheidende Rolle: Mit zunehmender Mähhäufigkeit und höherem Stickstoffeintrag gingen Artenreichtum und Deckung der Zielpflanzengruppen drastisch zurück, bei den Pflanzen der Roten Liste um bis zu 100 %.
Ein weiterer Schlüsselfaktor war die Nähe zu altem Grünland. Der Artenreichtum der Pflanzen (insbesondere der mesotrophen und nicht gesäten Arten) war höher, wenn die wiederhergestellten Flächen näher an alten Grünlandflächen lagen. Dies unterstreicht die Bedeutung von Ausbreitungsbeschränkungen und Ausgangspopulationen für die Ergebnisse der Wiederherstellung.
Die Ergebnisse für Schmetterlinge stimmen mit denen für Pflanzen überein. Wiederhergestellte und alte Grünlandflächen wiesen keine signifikanten Unterschiede in Bezug auf den Artenreichtum oder die Abundanz von Schmetterlingen auf. Am wichtigsten war das Vorhandensein von blühenden Kräutern, die wichtige Nektar- und Larvenwirtspflanzen liefern. Der Artenreichtum und die Abundanz von Schmetterlingen stiegen mit zunehmender Blütenbedeckung steil an. Allerdings wies fast ein Drittel der untersuchten Transekte überhaupt keine Blüten auf, was die Eignung des Lebensraums einschränkte. Auch die Intensität der Landnutzung spielte eine Rolle und verringerte indirekt den Blütenreichtum und die Schmetterlingsvielfalt.
Renaturierung neu denken: Saatgut, Standorte und Systeme
Diese Studie erinnert uns eindringlich daran, dass es bei der Wiederherstellung nicht nur um die Fläche geht, sondern auch um Struktur, Funktion und Prozess. Die Aussaat von Grasmischungen mit geringer Artenvielfalt ist für die Wiederherstellung der Zielpflanzen- und Schmetterlingsgemeinschaften unwirksam, selbst nach Jahrzehnten. Es ist jedoch möglich, einen ähnlichen Artenreichtum an Pflanzen zu erreichen wie in alten Graslandschaften.
Wie lauten also die Empfehlungen der Forschenden für eine erfolgreiche Wiederherstellung?
- (Nicht mehr als) Zweimaliges Mähen pro Jahr ist für die Entwicklung blütenreicher Gemeinschaften, die für die Wiederherstellung von Schmetterlingen von entscheidender Bedeutung sind, unerlässlich.
- Die Nähe zu bestehenden alten Grünlandflächen kann die Einwanderung der gewünschten Arten im Laufe der Zeit fördern. Für eine wirksame Wiederherstellung von Arten der Feuchtwiesen ist es notwendig, feuchte Mikrostandorte zu schaffen und möglicherweise Samen einzubringen.
- Eine kontinuierliche Überwachung und ein anpassungsfähiges Management im Anschluss an die Wiederherstellungsmaßnahmen sind von entscheidender Bedeutung, wie z. B. die Aussaat von Saatgutmischungen mit regionalem Genotyp und geeigneten Wirtspflanzen, während gleichzeitig feuchte Standortbedingungen geschaffen werden.
Da die EU und andere Regionen ehrgeizige Ziele für die Renaturierung von Ökosystemen verfolgen, bieten Studien wie diese wichtige Einblicke in langfristige Ergebnisse. Die Wiederherstellung ist nicht nur ein einmaliger Eingriff, sondern ein fortlaufender, anpassungsfähiger Prozess, bei dem ökologisches Wissen mit den lokalen Gegebenheiten in Einklang gebracht werden muss. Dreißig Jahre später lautet die Botschaft dieses Grünlandgebietes: Die Wiederherstellung erfordert mehr als Zeit und Raum – sie erfordert eine kontextbezogene Strategie.
Interesse geweckt? Den ganzen Forschungsartikel gibt es hier: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/rec.70029