Über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der ökologischen Forschung an der Leuphana – Ein Symposium des Instituts für Ökologie

Die Fakultät Nachhaltigkeit der Leuphana Universität Lüneburg feiert ihr 15-jähriges Jubiläum – und ist damit in ganz Deutschland einzigartig. Um diesen Meilenstein zu würdigen, veranstalten die einzelnen Institute der Fakultät eigene Events. Auch das Institut für Ökologie ließ es sich nicht nehmen, mitzufeiern. Am 05. November begaben sich die Institutsangehörigen, Praxispartner*innen und ein breites Publikum aus Ökologie-Interessierten auf eine Reise durch die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft der ökologischen Forschung an der Leuphana. Mit mehr als 80 Gästen und bei einem Ausblick auf die bunten Bäume des Campus und herbstlicher Nachmittagssonne eröffneten Prof. Dr. Vicky Temperton, Leiterin des Instituts, und die Moderatorin Dr. Agnes Friedel, Referentin für Qualitätsmanagement und Studiengangsentwicklung in der Fakultät, die Veranstaltung.

Eine Zeitreise durch die Ökologie

In der ersten Hälfte wurden die Teilnehmenden mit Tandemvorträgen der Professor*innen des Instituts durch die verschiedenen Forschungsbereiche geführt. Dabei traten ehemalig leitende oder langjährige Professor*innen zusammen mit den aktuell leitenden Professor*innen der jeweiligen Bereiche auf. Den Startschuss für die Zeitreise gaben Prof. Dr. Brigitte Urban, Leiterin der Arbeitsgruppe für Landschaftswandel, und Prof. Dr. Vicky Temperton ab, mit einem Blick darauf, was uns die Geschichte der Ökologie über die Gegenwart und Zukunft erzählen kann.

Brigitte Urban stellte mehrere Forschungsvorhaben zur ökologischen Geschichte vor. Angesichts der zunehmenden menschlichen Einflüsse auf unsere Umwelt ist es besonders relevant, ehemalige Ökosysteme zu rekonstruieren, um den heutigen Zustand zu verstehen und ein effektives Landschaftsmanagement zu ermöglichen. Während die Vergangenheit uns lehrt, dass Besiedlung und menschliche Landnutzung vielerorts langfristige Probleme wie Bodenerosion auslösen können, gibt es auch positive Beispiele für natürliche Widerstandsfähigkeit. Eine gute Nachricht liefern hier die Moore: Forschungen zur historischen Entwicklung von Hochmoorvegetation verraten, dass Hochmoore bis in die Neuzeit eine hohe Anpassungsflexibilität gegenüber rein klimatisch bedingten Veränderungen besitzen. Jedoch steigt der Druck auf Hochmoore durch die menschliche Nutzung und den Klimawandel, wodurch diese Flexibilität auf die Probe gestellt wird. Geht man noch weiter in die Vergangenheit zurück, etwa bis in die letzte Warmzeit vor ungefähr 125.000 bis 115.000 Jahren, so stößt man auf sehr große Pflanzenfresser, die sogenannten Megaherbivoren. Sie spielten möglicherweise eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Vegetation. Wie sähe unsere Landschaft wohl heute aus, wenn es noch Megaherbivoren gäbe? Brigitte Urban forscht nach.

Die Geschichte der Ökologie selbst in die Hand nehmen

Was passiert mit Ökosystemen, wenn Arten verloren gehen? Und wie werden Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen dadurch beeinträchtigt? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich Vicky Temperton in ihrer Forschung. Beim Erhalt und der Wiederherstellung der Biodiversität geht es nicht nur um Artenvielfalt, sondern auch darum, welche Pflanzen mit welchen Funktionen und Interaktionen eine Rolle spielen. Aufgrund des zunehmenden Biodiversitätsverlustes wird es immer wichtiger, die Entwicklung von Pflanzengemeinschaften zu verstehen, um Biodiversität wiederherstellen zu können. „Prioritätseffekte“ zeigen, dass die Entwicklungsgeschichte einer Gemeinschaft, durch zuerst angekommene Arten, nicht nur die Artenzusammensetzung, sondern auch Ökosystemfunktionen beeinflusst. Frau Temperton zeigte dem Publikum, dass Ökolog*innen bei der Zeitreise durch die Entwicklung von Pflanzengemeinschaften nicht nur Zuschauer*innen sind, sondern die Geschichte der Pflanzen selbst verändern können und vielleicht sogar sollten, um Biodiversität oder bestimmte Funktionen zu fördern. So könnten positive Interaktionen bestimmter Artengruppen genutzt werden und die Reihenfolge der Ankunft der Pflanzen in einem bestimmten Ökosystem verändert werden.

Künstliche Intelligenz zur Hilfe

Als Ausblick der Forschung blieb keiner der Tandemvorträge ohne die Vorstellung neuer Forschungsmethoden und -vorhaben in den jeweiligen Bereichen. Ein Blick in die Zukunft der Ökologie zeigt, dass maschinelles Lernen mithilfe von KI in Biodiversitäts-Experimenten tatsächlich zum gewünschten Durchbruch führen kann. So ist KI sowohl als Messwerkzeug als auch für die interdisziplinäre Integration von ökologischem Wissen hilfreich.

Ein Plädoyer für Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Praxis

Am Ende des ersten Tandemvortrags kam die große Frage auf, wie sich all dieses gesammelte ökologische Wissen in der Gesellschaft integrieren lässt. Haben Sie schon einmal etwas von Reallaboren gehört? In diesem Format erarbeiten Akteure aus Wissenschaft und Praxis gemeinsam Problemlösungen. Im Vordergrund steht dabei das gegenseitige Lernen in einem experimentellen Umfeld. Für Vicky Temperton sind Reallabore in der sozial-ökologischen Forschung zur Renaturierung degradierter Ökosysteme wichtig. „Wenn Reallabore hochskaliert werden, bringen sie großes Potenzial für eine Transformation mit sich.“, so die Professorin für Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen. Und diese Transformation mit einer Balance zwischen ökologischer und sozialer Perspektive ist unbedingt notwendig, um Ökosysteme erfolgreich zu renaturieren.

„Insekten sind unglaublich wichtig für alles, was wir tun“

Weiter in der Zeitreise ging es mit Prof. Dr. Michael Staab, der die Abteilung für Tierökologie und trophische Interaktion leitet. Er gab, auch stellvertretend für den verhinderten Prof. Dr. Thorsten Assmann, Professor für Ökologie mit Schwerpunkt Tierökologie, Einblicke in die große Vielfalt und Bedeutung von Insekten und deren Ökosystemfunktionen. Auch in der Tierökologie spielt die Vergangenheit eine große Rolle, wie Thorsten Assmanns Forschung zur Bedeutung der Eiszeiten für die heutige ökologische Zusammensetzung zeigt. Der Käfer-Experte ist zudem der Einzige, der durch ein Biodiversitätsmonitoring in der Lüneburger Heide den Rückgang von Laufkäfern dargestellt hat. Das rasant steigende Artensterben ist in der tierökologischen Forschung ein ständiger Begleiter und Grundlage vieler Forschungsvorhaben.

So beschäftigt sich Michael Staab unter anderem damit, wie Interaktionen zwischen Arten ökosystemrelevante Funktionen hervorbringen. Was ändert sich in der Biodiversität und in den Interaktionen, wenn sich die Umwelt ändert? Untersuchungen von Bäumen in Südostchina zeigen, dass es bei mehr Arten auch mehr Interaktionen gibt. Ein Rückgang der Arten kann sich also wesentlich auf die Interaktionen zwischen den verbleibenden Arten auswirken – und das nicht im positiven Sinne. Ein weiterer Schwerpunkt von Staabs Forschung ist der Einfluss der Landnutzungsintensität auf die Insektenvielfalt. Seine Forschung zeigt: Wo die Landnutzung besonders intensiv ist, wird die Landschaft homogen und auch das Mikroklima in Ökosystemen verliert seine Vielfalt. In einem neuen Projekt sollen Drohnenaufnahmen genutzt werden, um zu erforschen, wie sich die mikroklimatischen Bedingungen durch verschiedene Formen der Landnutzung ändern und dadurch Insekten ihre Lebensräume verlieren. Eine Folge des Verlustes von Insekten: Schwindet die Insektenvielfalt, gerät das ökologische Gleichgewicht ins Wanken. Um das zu verhindern, braucht es eine weniger intensive Nutzung – etwa durch extensive Beweidung und zeitlich gestaffelte Mahd.

„Das Artensterben ist der Verlust des naturhistorischen Gedächtnisses unserer Erde.“

„Können wir uns das leisten?“, fragte Prof. Dr. Werner Härdtle, Professor für Landschaftsökologie und Naturschutz. Er vollendete die Vortragsreise zusammen mit Prof. Dr. Sylvia Haider, der Leiterin der Arbeitsgruppe für Vegetationsökologie und Biodiversitätsforschung. Die klare Botschaft der beiden: Artenarmut ist keine Option – pflanzliche Vielfalt sichert Ökosystemfunktionen. Mit eindrucksvollen Bildern verglich Werner Härdtle das Abbrennen der tropischen Regenwälder mit dem Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar vor 20 Jahren, bei dem Tausende weltweit einzigartiger Bücher verbrannten. Dieser Vergleich veranschaulichte den enormen Verlust an Arten bei der Vernichtung der Regenwälder. Härdtle berichtete von jahrzehntelanger Forschung in den Subtropen Chinas, bei der 400.000 Bäume gepflanzt wurden, um den Einfluss der Artenvielfalt experimentell zu untersuchen. Mit leuchtenden Augen und ansteckender Begeisterung stellte der Professor das Ergebnis vor: Eine reiche Baumartenvielfalt kann die Produktivität der Wälder um bis zu 100 % steigern. Zudem helfen diese Effekte, wenn die Bäume unter Stress stehen, etwa durch den Klimawandel. Trockenheitsempfindliche Arten werden durch die Biodiversität stärker unterstützt. Solche Biodiversitätseffekte brauchen jedoch Zeit und die sollten wir der Natur geben.

Sylvia Haider fokussierte sich auf die Gegenwart und Zukunft der Biodiversitätsforschung. Sie betonte die Rolle der funktionellen Biodiversität, also der Vielfalt unterschiedlicher funktioneller Merkmale. Auch diese Art der Biodiversitätsforschung zieht veränderte Umweltbedingungen durch Klimawandel, von Menschen verursachte Störungen und die Einführung invasiver Arten, und deren Einfluss auf funktionelle Merkmale in Betracht. Haider und ihre Kolleg*innen sind Teil einer weltweit fast einzigartigen Arbeitsgruppe, die die funktionellen Merkmale von Bäumen zwischen Arten, innerhalb von Arten und auch innerhalb von Individuen misst. Das Ergebnis: Eine hohe funktionelle Diversität geht mit einer hohen Vielfalt an Ökosystemfunktionen einher. Überraschenderweise kommt dabei ein substanzieller Anteil der Variabilität aus der Individualität der Bäume.

Neue Lebensräume in der Höhe

Richten wir den Blick zum Abschluss noch einmal auf eine andere Ebene, und zwar auf die der Gebirge und der Forschung zur Pflanzendiversität entlang von Höhengradienten. Wie verändern sich die Ökosysteme in vulnerablen Gebirgsregionen und welchen Einfluss haben dabei gebietsfremde, eingewanderte Arten? In der Fragerunde kam das Thema der infolge des Klimawandels stattfindenden Migration von Arten in die Höhe auf. Einerseits entstehen dadurch neue Lebensräume, was zum Schutz von Arten führen kann, so Haider. Andererseits werden auch bestehende Interaktionen auseinandergerissen und Arten, die vorher in den Gebirgen spezialisiert waren, werden von migrierenden Arten verdrängt. Nun muss erforscht werden, wie sich diese Verschiebung in Zukunft auf die Biodiversität in der Höhe auswirkt.

„Quo vadis Ökologie?“ – Eine Podiumsdiskussion mit Blick in die Praxis und in die Zukunft

Mit sinkender Sonne im Gesicht und Fragen zur Zukunft der ökologischen Forschung im Kopf ging es nach einer kurzen Pause zur Stärkung mit der Podiumsdiskussion weiter. Auf dem Podium saßen Prof. Dr. Andreas Fichtner, Professor für Vegetationsökologie und Biodiversitätsforschung, aus der Praxis Dr. Heike Brenken, Landschaftsplanerin im Verein Naturschutzpark Lüneburger Heide, sowie Prof. Dr. Vicky Temperton und Prof. Dr. Michael Staab. Über der ersten Hälfte der Diskussion schwebte die große Frage nach der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Praxis und dem Gelingen einer Transformation hin zu Nachhaltigkeit.

„Wir können einfach nicht so weiter machen, es gibt keine drei Erden!“

– betonte Vicky Temperton. Wie können die Ergebnisse von Reallaboren breit umgesetzt und Praxispartner*innen dabei mit einbezogen werden? Laut Temperton sind für die Hochskalierung solcher Projekte nicht nur die Ergebnisse wichtig, sondern auch der Prozess selbst. Durch die Zusammenarbeit unterschiedlicher Akteure wird Vertrauen aufgebaut, ohne welches eine Transformation nicht möglich ist. Heike Brenken spricht aus ihrer Praxiserfahrung, wenn sie sagt, dass die Grundlagenforschung der Wissenschaft zwar wichtig ist, es aber auch Hilfe braucht, um die Ergebnisse vor Ort umzusetzen. Hier sind vor allem die Verwaltung und die Politik gefragt. Wichtig sei auch mal ein Artikel in der Lokalzeitung oder ein Vortrag auf dem Hoffest, um das Verständnis der Bürger*innen für Naturschutz zu erhöhen. Als Antwort auf den Appell an die Verwaltung meldete sich aus dem Publikum eine Stimme aus der Unteren Naturschutzbehörde Lüneburgs. Der Teilnehmer versicherte, dass auch in der Verwaltung das Bemühen vorhanden sei, doch stoße man oft auf viele Auflagen. Die Stellschraube liegt also auch bei den Menschen, die die Regularien für Natur- und Artenschutz verändern können. Ein Hoffnungsschimmer könnten die Student*innen sein, die an der Universität als „change agents“ ausgebildet werden, um später mit einem breiten thematischen Überblick die Schnittstelle zwischen Praxis und Wissenschaft zu bilden.

Im Endspurt der Zeitreise lenkte die Moderatorin Agnes Friedel den Blick abschließend auf die drängenden ökologischen Fragen der nächsten 15 Jahre vor dem Hintergrund des Globalen Wandels. Andreas Fichtner sprach von drei wichtigen Säulen der Zukunft: Stabilität der Ökosysteme, Anpassung an den Globalen Wandel und ein respektvollerer Umgang mit unserer Umwelt. In der Umsetzung werde jedoch oft die Kernbotschaft der Forschung nicht verstanden. Dabei spielen unsere Werte eine besondere Rolle. Was finden wir wichtig? Was motiviert uns? Das Verständnis und Bewusstsein für die Auswirkungen des Globalen Wandels auf Ökosysteme, die Ökolog*innen bei ihrer Forschung erfahren, muss sich in der Gesellschaft verbreiten.

Aber was sind denn nun ganz konkrete Schritte, um Biodiversität zu schützen?

– fragte sich ein Teilnehmer und vielleicht auch manche Leser*innen dieses Artikels. Es gibt vieles, das für den Erhalt der Biodiversität getan werden kann und sollte. Hier ein paar Vorschläge aus Podium und Publikum:  

  • Das Bewusstsein, dass wir ohne die Natur nicht leben können, in der Gesellschaft und Politik verbreiten
  • Landnutzung ändern, etwa durch weniger Fleischkonsum
  • Ökologische Leistungen auch in der Ökonomie honorieren
  • Bereiche wie Agrar- und Forstwirtschaft umweltorientierter und weniger produktionsorientiert gestalten
  • Die Motivation für Umweltschutz schon in frühem Alter in der Schule erzeugen

Dabei liegt die Verantwortung zu einem großen Teil bei der Politik, doch auch Graswurzelbewegungen aus der Gesellschaft heraus sind gefragt. Das Podium und auch das Publikum waren sich einig: Die Menschen müssen für den Schutz der Biodiversität brennen!

Unsere Reise durch verschiedene Zeiten und Forschungsbereiche hat gezeigt, dass Kommunikation eine zentrale Rolle für den Schutz von Biodiversität und Ökosystemen spielt – denn nur, wenn wir miteinander im Austausch bleiben und zusammenarbeiten, können wir dieses Ziel erreichen. Mit diesen Schlussworten verabschiedete Agnes Friedel die Teilnehmenden des Symposiums in den Abend. Und mit diesem Gedanken verabschiedet auch dieser Artikel seine Leser*innen auf ihrem weiteren Weg in eine Zukunft, die bedeutender für die Entwicklung der Ökologie nicht sein könnte.


Fotos: ©Jennifer Fandrich / Leuphana

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