Wo Wald auf Steppe trifft: Europas Hotspots der Pflanzenvielfalt

Was passiert, wenn trockene Steppe auf feuchten Wald trifft? In Ostmitteleuropa führt diese ungewöhnliche ökologische Überschneidung zur Entstehung eines der artenreichsten Ökosysteme der Erde. Eine aktuelle Studie von Roleček et al. (2025) kartiert, definiert und charakterisiert diese Ökosysteme, die als perikarpathisches Waldsteppengrasland bekannt sind, und liefert neue Erkenntnisse über ihre Zusammensetzung und biogeografische Bedeutung.

Zwar waren keine Forschenden der Leuphana an dieser Studie beteiligt, die Ergebnisse sind für die ökologische Forschung an der Leuphana jedoch von großer Bedeutung, insbesondere in den Bereichen Pflanzenvielfalt, Landnutzungsgeschichte und Biogeografie von Grünland.

Ein ökologisches Wunder mit rekordverdächtigem Artenreichtum

Die Waldsteppengraslandschaften der Karpatenvorlandregion liegen in den Ausläufern der Karpaten in der Ukraine, Rumänien, der Tschechischen Republik, der Slowakei, Österreich und Ungarn. Sie beherbergen eine einzigartige Mischung von Arten, die typisch für Trockensteppen, Feuchtwiesen, Waldränder und gemäßigte Wälder mit offenem Kronendach sind.

Aus den Vegetationsdaten der Studie geht hervor, dass der Artenreichtum an Gefäßpflanzen in Parzellen von nur 10-16 m² über 110 Arten erreicht, wobei das derzeitige weltweite Maximum (119 Arten auf 16 m²) in der Westukraine verzeichnet wurde. Ähnliche Werte wurden in den Weißen Karpaten (Tschechien) und in Transsylvanien (Rumänien) festgestellt. Diese Regionen sind durch Hunderte von Kilometern voneinander getrennt, aber ökologisch bemerkenswert ähnlich.

Verteilung der Wald-Steppen-Graslandschaften in den Perikarpaten (in rot). Die grün markierten Standorte erreichen nicht den Schwellenwert für die Indikatorarten. Die Standorte mit dem höchsten festgestellten Artenreichtum sind mit Zahlen gekennzeichnet: 1 – Dzyurkach, Ukraine, 2 -Fânațele Clujului- Valea lui Craiu, Rumänien, 3 – Porážky, Tschechische Republik.

Was macht diese Landschaft so besonders?

Die Autor:innen der Studie verwenden den Begriff „Waldsteppengraslandschaften der Karpatenvorlandregion“, um Grünland zu beschreiben, das zuvor der Assoziation Brachypodio pinnati-Molinietum arundinaceae zugeordnet war. Dieser Begriff unterstreicht sowohl ihre geografische Verbreitung (rund um die Karpaten) als auch ihre Artenzusammensetzung, die Elemente der Waldsteppe, der mesischen Grünlandschaften und der Hochstaudengemeinschaften miteinander verbindet.

Um diesen Vegetationstyp genau abzugrenzen, verwendeten Roleček und Kolleg:innen 60 Konsensindikatorarten, d. h. Arten, die in mehreren regionalen Studien wiederholt als diagnostisch eingestuft wurden. Der Schwellenwert für die Indikatorarten (der auf einen summierten Indikatorwert ≥ 50 festgelegt wurde) wurde zusammen mit formalen Definitionen zur Klassifizierung der Vegetationsflächen verwendet. Dieser empirisch robuste Ansatz ermöglichte es den Autoren, frühere, manchmal unklare Klassifizierungen zu verfeinern.

Dieses Grünland ist typischerweise in niedrigeren bis mittleren Höhenlagen auf Hochebenen und sanften Hängen (bis zu 10°) in mäßig warmem und relativ niederschlagsreichem Klima zu finden. Die Böden sind in der Regel tiefgründig und gut entwickelt, oft über weicheren Sedimentgesteinen wie Mergel und Sandsteinen. Diese Substrat- und Hangeigenschaften tragen dazu bei, die offene, krautige Struktur der Vegetation zu erhalten. In Verbindung mit dem Klima und der historischen Kontinuität begünstigt dies den außergewöhnlichen Artenreichtum.

Alte Wurzeln, neue Bedeutung

Warum beherbergen diese Grünlandschaften so besonders viele Arten? Ein wichtiger Faktor ist das langfristige Fortbestehen offener oder halboffener Lebensräume in diesen Regionen seit dem späten Pleistozän und frühen Holozän (also ca. den letzten 20.000 Jahren der Erdgeschichte). Mehrere paläoökologische Belege, darunter Holzkohle, Pollen, Biomarker und Bodenerosionsproxies, stützen die Hypothese, dass eine artenreiche Waldsteppenvegetation über Jahrtausende hinweg fortbestand, selbst in klimatisch günstigen Waldperioden.

Wichtig ist, dass diese alte Kontinuität die Koexistenz mehrerer ökologischer Artengruppen – von Steppenspezialisten bis zu Waldrandpflanzen – in relativ stabilen, konkurrenzarmen Umgebungen ermöglichte. Ohne diesen alten Artenpool gäbe es diese außerordentlich reichen Graslandschaften heute wahrscheinlich nicht.

Grünland am Standort Dzyurkach in der Westukraine

Nicht nur eine Frage der Natur, sondern auch der menschlichen Landnutzung (und des Schutzes!)

Eine auffallende Gemeinsamkeit der meisten artenreichen Standorte ist ihre langjährige Bewirtschaftung als Heuwiesen, die oft einmal jährlich gemäht werden. Die traditionelle Bewirtschaftung mit geringer Intensität (z. B. Mähen, leichte Beweidung oder regelmäßiges Abbrennen) scheint dazu beigetragen zu haben, die strukturelle Heterogenität zu erhalten und das Eindringen von Gehölzen zu verhindern. Viele Standorte sind jedoch heute durch die Aufgabe von Flächen, veränderte Mähregime oder das Eindringen von Sträuchern bedroht, was die Dringlichkeit standortspezifischer Erhaltungsstrategien unterstreicht.

Während in Teilen des zentralrussischen Hochlands ähnlich vielfältige Lebensgemeinschaften dokumentiert wurden, hält die Karpatenregion derzeit den Weltrekord für den Artenreichtum feinräumiger Pflanzen. Die Graslandschaften der Karpaten sind daher ein weltweit bedeutendes Modellsystem für die Untersuchung der Koexistenz von Arten, der ökotonalen Dynamik und des Zusammenspiels natürlicher und kultureller Faktoren der biologischen Vielfalt. Diese herausragenden Eigenschaften machen es umso wichtiger, den Erhalt dieser wertvollen Region zu sichern.


Sie interessieren sich für die Forschung und die Region und möchten mehr erfahren? Hier geht’s zum vollständigen Forschungsartikel: https://doi.org/10.1111/jbi.15069

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