Vom lokalen Versprechen, Bäume zu pflanzen, bis hin zu globalen Kampagnen zur Wiederbewaldung – die Renaturierung von Ökosystemen ist zu einem Slogan geworden, der für Klimaschutzmaßnahmen wirbt. Aber kann die Natur wirklich genug Kohlenstoff aufnehmen, um uns zu helfen, die globalen Klimaziele zu erreichen? Eine neue, in Nature Geoscience veröffentlichte Studie von Tölgyesi et al. (2025), an der auch Vicky Temperton vom Leuphana Institut für Ökologie beteiligt ist, legt nahe, dass wir unsere Erwartungen neu kalibrieren müssen.
Ihre Botschaft ist klar: Renaturierung wird nur eine begrenzte Rolle bei der Abschwächung des Klimawandels spielen. Das macht sie jedoch nicht weniger wichtig für den Schutz der biologischen Vielfalt, die Stärkung der Resilienz von Ökosystemen und die lokale Anpassung an den Klimawandel.
Ein ganzheitlicher Ansatz für globale Renaturierung
Frühere Studien über das Potenzial der Kohlenstoffbindung durch Renaturieurng konzentrierten sich auf die Wälder und den gesamten Kohlenstoffbestand und gingen davon aus, dass die Wiederherstellung bis zu zwei Drittel der Kohlenstoffemissionen ausgleichen könnte. Diese Schätzungen basierten jedoch auf ungenauen, unsicheren und unrealistischen Annahmen, z. B. über die Verfügbarkeit von Land für Renaturierungsmaßnahmen oder die politische Durchführbarkeit.
Tölgyesi, Temperton und ihre Kolleg:innen verfolgten einen breiteren Ansatz. Sie:
- modellierten das Wiederherstellungspotenzial für vier wichtige Ökosysteme: Wälder, Buschland, Grünland und Feuchtgebiete, indem sie eine umfangreiche Datenbank mit hochauflösenden Satellitendaten verwendeten.
- setzten maschinelles Lernen ein zur Vorhersage des potenziellen Deckungsgrads einheimischer Ökosystemtypen an terrestrischen Standorten unter Verwendung von Klima-, Boden- und topografischen Prädiktoren
- schätzten die Kohlenstoffbindung anhand jährlicher Raten, nicht der Gesamtbestände, über den Zeitraum von 2030 bis 2100 für insgesamt 12 Biom-Ökosystem-Kombinationen (z. B. gemäßigte Wälder, tropisches Grünland).
- filterten die für die Wiederherstellung verfügbare Fläche, indem Gebiete ausgeschlossen wurden, die intakt oder bebaut sind, intensiv bewirtschaftet werden oder eine geringe Produktivität aufweisen (z. B. polare oder trockene Regionen).
- berücksichtigten künftige Klimaszenarien und Zustandsänderungen von Ökosystemen, die zu Verlusten bei bestehenden Kohlenstoffvorräten führen können.
Das sind die Ergebnisse
Die Studie schätzt, dass durch Renaturierung der maximal verfügbaren Fläche unter den derzeitigen Klimabedingungen bis zum Jahr 2100 96,9 Gigatonnen Kohlenstoff (Gt C) gebunden werden könnten. Das scheint viel zu sein, oder? Der Realitätscheck zeigt: Das sind gerade einmal 17,6 % der gesamten bisherigen anthropogenen Emissionen oder zwischen 3,7 % und 12,0 % der prognostizierten künftigen Emissionen (also je nach den vier verwendeten globalen Emissionsszenarien, den so genannten Shared Socioeconomic Pathways).
Aber, und das ist der Knackpunkt, wenn die Renaturierung an die zukünftigen Klimabedingungen angepasst wird und die zu erwartenden Zustandsänderungen der Ökosysteme (z. B. Umwandlung von Wald in Savanne) berücksichtigt werden, sinkt der Kohlenstoffnutzen auf fast Null. Das scheint zunächst ziemlich ernüchternd zu sein. Doch diese realistische Einschätzung ist äußerst wichtig und birgt Chancen für den Klima- und Naturschutz. Und warum? Lesen Sie weiter.
Ein wichtiger Vergleich: Wälder vs. offene Ökosysteme
Eine große Stärke dieser Studie ist, dass sie über Bäume und Wälder hinausgeht. Grünland, Buschland und Feuchtgebiete (offene Ökosysteme) werden oft übersehen, obwohl sie beträchtliche Mengen an Kohlenstoff speichern (insbesondere unterirdisch), eine höhere Albedo haben und widerstandsfähiger gegen Feuer und Dürre sind.
Im realistischsten Renaturierungsszenario dieser Studie stammen etwa 58 % der Kohlenstoffgewinne aus Wäldern, 42 % aus offenen Ökosystemen. Diese ausgewogene Sichtweise trägt dazu bei, den Fehler zu vermeiden, Bäume dort zu pflanzen, wo sie nicht hingehören – ein unbedachtes Vorgehen, das derzeit stattfindet und der biologischen Vielfalt sowie den lokalen Nährstoff- und Wasserkreisläufen schaden kann.
Politische Folgerung: Weniger Kohlenstoff, mehr Resilienz
Was sollten wir also daraus lernen?
- Ein sehr wichtiger Punkt: Die Renaturierung von Ökosystemen ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung, nur eben nicht als Allheilmittel gegen den Klimawandel.
- Renaturierung sollte daher eher im Interesse der biologischen Vielfalt, der Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme und der lokalen Anpassung an den Klimawandel erfolgen.
- Es kommt darauf an, Prioritäten zu setzen: Die Forschenden identifizierten spezifische 100×100 km große Prioritätszonen, in denen Renaturierung den größten Nutzen für den Kohlenstoffgehalt bringen könnte, darunter auch gemäßigte Gebiete wie amerikanische Prärien und zentralasiatische Steppen und nicht nur die zuvor priorisierten tropischen Regenwaldregionen.
Wir brauchen ein Umdenken
Die Autor:innen kommen zu dem Schluss, dass Renaturierung neu positioniert werden sollte: von einem Instrument zur Emissionsreduktion zu einer Strategie für Klimaanpassung, Schutz der biologischen Vielfalt und Unterstützung von Ökosystemleistungen. Dies ist auch in wichtigen politischen Maßnahmen und Agenden wie dem EU-Renaturierungs-Gesetz 2024 und der UN-Dekade zur Renaturierung von Ökosystemen bereits enthalten. Es ist jedoch eine klarere Kommunikation darüber erforderlich, was Renaturierung leisten kann und was nicht.
Anstatt Kohlenstoffgutschriften nachzujagen, sollten wir Ökosysteme wiederherstellen, um Mensch und Natur bei der gemeinsamen Anpassung an eine ungewisse Klimazukunft zu unterstützen.
Diese Studie ist ein wichtiger Meilenstein, nicht nur für die Wissenschaft an der Leuphana, sondern auch für die globale Gemeinschaft der Renaturierungsforschung. Sie setzt einen neuen Maßstab dafür, wie das Renaturierungspotenzial bewertet werden sollte: mit ökologischem Feingefühl, räumlichem Realismus und Klimavorausschau.
Sie können das Paper hier lesen und teilen: https://www.nature.com/articles/s41561-025-01742-z
Die Mitteilung der Nachhaltigkeitsfakultät zur Studie finden Sie hier: https://www.leuphana.de/einrichtungen/fakultaet/nachhaltigkeit/aktuell/ansicht/2025/08/06/neue-wissenschaftliche-belege-fuer-unwirksame-und-ungerechte-klimapolitik.html