Die Saat für die Kohlenstoffspeicherung säen: Die Rolle von Klima und Pflanzenvielfalt für das, was unter der Erde ist

Starten wir mit einem kleinen Quiz: Welches Landökosystem ist auf der ganzen Welt verbreitet, vielfältig, widerstandsfähig, beheimatet viele Arten, speichert viel Kohlenstoff und… ist kein Wald? Diesem Ökosystem wird viel zu oft viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, und viel zu oft wird es in unserer Wahrnehmung ausschließlich als „Ackerland“ abgetan. Wissenschaftler:innen um Spohn et al. (2023), darunter auch Sylvia Haider des Instituts für Ökologie der Leuphana Universität, haben in ihrer Studie jedoch einmal mehr die enorme Bedeutung von (Trommelwirbel!) Grünland für die Kohlenstoffspeicherung im Boden und damit für Klimaschutz und -anpassung hervorgehoben.

Einen Schritt zurück: Worüber sprechen wir?

Jüngste Studien zeigen, dass Grünland etwa ein Drittel des terrestrischen Kohlenstoffs speichert, 90 % davon im Boden. Darüber hinaus beherbergen Grünlandflächen eine enorme Artenvielfalt. Da nicht nur der Klimawandel, sondern auch der Verlust der Biodiversität zu den existenziellen Krisen unserer Zeit gehört, ist es besonders sinnvoll, sich Grünland genauer anzusehen. Dass die Pflanzenvielfalt ein wichtiger Faktor für die Bildung und Speicherung von organischem Kohlenstoff im Boden („Soil Organic Carbon“ – der Kohlenstoff, der in Form von organischem Material im Boden gespeichert ist und hauptsächlich aus zersetztem pflanzlichen und tierischen Material stammt) ist, wurde bereits in verschiedenen Ökosystemen untersucht und bestätigt. Spohn und Kolleg:innen untersuchten nun, wie sich das Klima auf die Beziehung zwischen Pflanzenvielfalt und organischem Kohlenstoff im Boden auswirkt und welche Mechanismen dabei eine Rolle spielen. Traditionelle Experimente, also solche, die im Labor oder in einem streng kontrollierten Rahmen im Feld durchgeführt werden, sind für diese Forschungsfrage nicht geeignet. Stattdessen wurden im großen Maßstab 84 Grünlandstandorte auf sechs Kontinenten mit verschiedenen Klimaten untersucht. Dieses besondere Versuchsdesign ist von enormer Bedeutung, um unser Verständnis für die Dynamiken in Ökosystemen sowie die langfristigen Auswirkungen des Klimas auf diese zu verstehen.

Untersuchungsstandort in Bad Lauchstädt. Quelle: Sylvia Haider

Und einen Schritt nach vorn: Was wurde untersucht?

Zunächst wurden an allen Standorten Bodenproben entnommen und ihr Kohlenstoff-, Stickstoff- und Phosphorgehalt analysiert. Zudem wurden Klimadaten (von Worldclim und der Beratungsgruppe für Internationale Agrarforschung CGIAR) für die Untersuchungsgebiete eingeholt – die mittlere Jahrestemperatur, der mittlere Jahresniederschlag und die potenzielle Evapotranspiration, ein Maß für die „Austrocknungskraft“ der Atmosphäre, Wasser von Landoberflächen und Pflanzen verdunsten zu lassen. Mit den beiden letztgenannten Variablen wurde zudem der Ariditätsindex berechnet. Die letzte Komponente, die in die Analyse einbezogen wurde, ist die Pflanzenvielfalt, abgebildet durch den Shannon-Wiener-Index. Dieser berücksichtigt nicht nur die Anzahl verschiedener Arten, sondern auch wie gleichmäßig die Individuen unter den Arten verteilt sind. Ein höherer Wert deutet auf eine vielfältigere Gemeinschaft hin, in der viele verschiedene Arten in relativ gleicher Häufigkeit vorkommen, während ein niedrigerer Wert auf eine geringere Vielfalt hindeutet, die möglicherweise von einigen wenigen, reichlich vorhandenen Arten dominiert wird. Mit diesen Variablen wurden dann statistische Untersuchungen durchgeführt, um die Zusammenhänge zwischen der Dynamik des Bodenkohlenstoffs, den Klimabedingungen und der Pflanzenvielfalt zu untersuchen. Um nicht zu theoretisch zu werden, sind hier die wichtigsten Ergebnisse:

Vielfalt ist wichtig! Klima ist wichtig! Grünland ist wichtig!

Die Pflanzenvielfalt wirkte sich auf allen Grünlandstandorten positiv auf den Gehalt an organischem Kohlenstoff (SOC) und die Qualität der organischen Substanz im Boden aus (die anhand des Verhältnisses von Kohlenstoff zu Stickstoff (C:N) im Boden analysiert wird – ein Faktor, der die Geschwindigkeit und Effizienz des Abbaus organischer Substanz beeinflusst, was sich wiederum auf die Verfügbarkeit von Nährstoffen, die Bodenstruktur und die allgemeine Bodengesundheit auswirkt). Die Tatsache, dass die Pflanzenvielfalt die Kohlenstoffspeicherung im Boden nicht über die Pflanzenbiomasse, also die Menge der eingetragenen organischen Substanz, sondern über dessen Qualität beeinflusste, war für die Wissenschaftler:innen recht überraschend – in ihrer Hypothese hatten sie dies nicht erwartet. Kurz gesagt also: Qualität vor Quantität!

Parzelle mit Kontrollbehandlung. Quelle: Sylvia Haider

Der zweite interessante Punkt der Ergebnisse: Das Klima spielte für den eben genannten Zusammenhang eine wichtige Rolle, da dieser in warmen und trockenen Klimazonen am stärksten war. Die Gründe hierfür sind vermutlich auf eine Kombination von Faktoren zurückzuführen, die durch diese spezifischen klimatischen Bedingungen verursacht werden. So besteht beispielsweise in warmen und trockenen Gebieten ein enger Zusammenhang zwischen der Pflanzenvielfalt und dem C:N-Verhältnis im Boden. Bei der Zersetzung benötigen die Mikroorganismen Stickstoff (N), um kohlenstoffreiche organische Verbindungen (C) abzubauen. Je größer die Pflanzenvielfalt ist, desto höher ist das C:N-Verhältnis im Boden, d.h. organisches Material wird langsamer abgebaut, was dazu führt, dass mehr organischer Kohlenstoff im Boden gespeichert wird. Außerdem ist die Pflanzenstreu in wärmeren und trockeneren Gebieten reicher an komplexen Verbindungen wie Wachsen, welche für Mikroben schwieriger abzubauen sind, was wiederum dazu führt, dass mehr Kohlenstoff als SOC im Boden verbleibt.

Da sich Grünland über den gesamten Globus und über verschiedene Klimazonen erstreckt, ist dieses Ökosystem von entscheidender Bedeutung für die Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise. Allerdings ist Grünland von allen terrestrischen Biomen am stärksten von Degradation betroffen – etwa die Hälfte der weltweiten Grünlandflächen ist bereits degradiert, vor allem durch landwirtschaftliche Umnutzung und intensive Viehnutzung. Aus diesem Grund wird in der Studie hervorgehoben, dass „ein potenzieller zukünftiger Verlust der Pflanzenvielfalt in Grünland die Speicherung von Kohlenstoff gefährden könnte, insbesondere in warmen und trockenen Klimazonen“. Aber das lässt sich auch positiver auszudrücken: Die Wiederherstellung von Grünland und die Stärkung der Pflanzenvielfalt birgt ein großes Potenzial für natürliche Klimalösungen.  

Noch viel zu wissen und noch mehr zu tun

Wenn das alles noch sehr theoretisch und abstrakt klingt, ist es jetzt an der Zeit, die praktischen Implikationen anzusehen: Die Ergebnisse dieser Forschung zeigen, wie wichtig es ist, die komplexen Wechselwirkungen zu verstehen, die in den uns umgebenen Ökosystemen stattfinden. Das Verständnis der positiven Auswirkungen der Pflanzenvielfalt auf die Kohlenstoffspeicherung im Boden, insbesondere in warmen und trockenen Klimazonen, kann wichtige Informationen für die Bewirtschaftung von Ökosystemen liefern, die die Kohlenstoffbindung (im Boden) stärken und die Erhaltung der Artenvielfalt fördern. Politische Entscheidungsträger:innen müssen sich der herausragenden Bedeutung von Grünland für natürliche Klimalösungen und die Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegenüber dem globalen Wandel bewusst werden. Darüber hinaus macht die Studie deutlich, dass interdisziplinäre, praxisnahe Forschung von grundlegender Bedeutung für die Bewältigung aktueller Herausforderungen ist. Wir müssen auf allen Ebenen zusammenarbeiten und unseren Blick weiten – über die Wälder hinaus auf die vielfältigen, beeindruckenden Ökosysteme unserer Welt!

Grünland in Bad Lauchstädt. Quelle: Sylvia Haider

Wenn Sie tiefer in diese Studie eintauchen möchten, finden Sie das Papier von Spohn und Kolleg:innen hier:

Spohn, M., Bagchi, S., Biederman, L.A. et al. The positive effect of plant diversity on soil carbon depends on climate. Nat Commun 14, 6624 (2023). https://doi.org/10.1038/s41467-023-42340-0

Und wenn Sie noch nicht genug über Grünland und Kohlenstoffbindung gelesen haben, sollten Sie sich diese Studien ansehen:

Bai, Y., Cotrufo M. F. (2022): Grassland soil carbon sequestration: current understanding, challenges, and solutions. In: Science, Vol 377, Issue 6606, pp. 603-608. DOI: 10.1126/science.abo2380

Bossio, D.A., Cook-Patton, S.C., Ellis, P.W. et al. (2020): Die Rolle des Bodenkohlenstoffs bei natürlichen Klimalösungen. Nat Sustain 3, 391-398. https://doi.org/10.1038/s41893-020-0491-z

Staude, I. R., Segar, J., Temperton, V. M., Andrade, B. O., de Sá Dechoum, M., Weidlich, E. W., & Overbeck, G. E. (2023): Priorisieren Sie die Wiederherstellung von Grünland, um die Kurve des Biodiversitätsverlustes zu biegen. Restoration Ecology, e13931. DOI: https://doi.org/10.1111/rec.13931

Unseren ersten Blog-Artikel finden Sie hier:Warum Renaturierung einen neuen Fokus braucht: Eine Perspektive, die für viele überraschend sein mag – und das ist das Problem – Ökologische Forschung der Leuphana Universität Lüneburg

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

2 − eins =