Barrieren abbauen: Ein Aufruf zur Kohäsion bei Studien über Prioritätseffekte

Prioritätseffekte sind Phänomene, bei denen die Auswirkungen von Arten aufeinander von der Reihenfolge des Eintreffens der Arten an einem Ort abhängen. Dabei können zwei unterschiedliche Typen des Effekts unterschieden werden: der hemmende und der fördernde. Ersterer beschreibt, dass die sich früher etablierende Art die Durchsetzung, das Wachstum oder die Fortpflanzung einer später eintreffenden Art negativ beeinflussen kann, indem sie zum Beispiel die Ressourcen in Anspruch nimmt. Letzterer beschreibt dagegen, dass eine zuerst eintreffende Art auch die Etablierung, das Wachstum oder die Fortpflanzung der späteren Art positiv beeinflussen kann, zum Beispiel durch eine Stärkung der Bodenfruchtbarkeit oder Verbesserung der mikroklimatischen Bedingungen.

Das große Ganze

Schon von der Definition her klingt der Begriff so, als wäre er besonders in der Gemeinschaftsökologie relevant. Prioritätseffekte spielen tatsächlich in dieser Disziplin eine wichtige Rolle, werden aber auch in vielen anderen Forschungsbereichen untersucht. Es gibt jedoch eine Vielzahl von Begriffen, die diesen Effekt in unterschiedlichen Kontexten beschreiben. Verwandte Begriffe sind beispielsweise „alternative stabile Zustände“ in der Renaturierungsökologie, „induzierte Resistenz“ in der Immunologie und Krankheitsökologie oder „Monopolisierung“ in der Evolutionsökologie. Die Wissenschaftler:innen um Stroud et al. (2024), darunter Vicky Temperton vom Institut für Ökologie der Leuphana Universität, deckten den Mangel an konzeptioneller Kohärenz und die Unterschiede in der disziplinären Sprache auf, die derzeit das Verständnis von Prioritätseffekten als breiteres biologisches Phänomen verhindern. Hierzu untersuchten die Forschenden die verschiedenen biologischen Bereiche, die sich in ihren Studien mit Prioritätseffekten befassen, mit dem Ziel, einen Rahmen für ein besseres Verständnis der Bedingungen und Mechanismen von Prioritätseffekten und ihrer Folgen über räumliche und zeitliche Skalen hinweg zu entwickeln.

In wirtsassoziierten Gemeinschaften, insbesondere bei pflanzlichen Wirten, können starke Interaktionen innerhalb des Wirts zwischen koinfizierenden Parasiten zu lokalen Prioritätseffekten führen. So können beispielsweise früh auftretende Stämme des Echten Mehltaus, Podosphaera plantaginis (A), auf Blättern der Wirtspflanze Plantago lanceolata (B) die Infektion durch später auftretende Stämme erleichtern, die sich in ihrer Abwesenheit weniger wahrscheinlich etablieren Quelle: Stroud et al. (2024). Fotocredits: Mikko Jalo, Anna-Liisa Laine.

Ein Netzwerk zeichnen

Für diese Überprüfung und zur Entwicklung eines solchen Rahmenkonzepts führten Stroud und Kolleg:innen eine Kozitationsnetzwerkanalyse von Studien zu Prioritätseffekten durch. Bei solch einer Analyse wird untersucht, wie oft zwei Studien in veröffentlichten Arbeiten gemeinsam zitiert werden. Ein Netzwerkalgorithmus identifiziert dabei Cluster von Studien, die innerhalb eines Clusters mehr Zitate aufweisen als zwischen Clustern. Die Ergebnisse der Analyse zeigen deutlich eine unbeständige Kohärenz zwischen Studien über Prioritätseffekte und verwandte Themen in verschiedenen biologischen Teilbereichen. Genauer gesagt ergab die Analyse vier primäre Cluster von Studien, die häufiger gemeinsam zitiert werden: (1) Allgemeine Ökologie, (2) Tierökologie, (3) Pflanzenökologie und (4) Evolutionsökologie. Diese als „Super-Cluster“ bezeichnete, gut miteinander verbundene Gruppe von Disziplinen hat ein gemeinsames Interesse an Prioritätseffekten und steht somit im Gegensatz zu zwei weiteren, kaum miteinander verbundenen Clustern: (5) Parasitologie und (6) Polarbiologie.

Aufruf zur interdisziplinären Kommunikation

Die Analyse unterstreicht, wie wichtig es ist, den interdisziplinären Dialog und die Zusammenarbeit zu fördern, um die Forschung zu Prioritätseffekten voranzutreiben. Als ersten Schritt zur Überwindung der semantischen Barrieren zwischen den verschiedenen Teilbereichen haben Stroud und Kolleg:innen eine Liste aller Begriffe zusammengestellt, die mit Prioritätseffekten in Verbindungen stehen, um den Forschenden, die sich hiermit beschäftigen, Schlüsselwörter an die Hand zu geben, mit denen sie in Zukunft arbeiten können. Dies bildet die Grundlage für einen einheitliche Rahmen zur Förderung eines einheitlichen Verständnisses der Prioritätseffekte. Dadurch könnten beispielsweise ökologische Vorhersagen verbessert, die interdisziplinäre Forschungszusammenarbeit erleichtert, Strategien für das Ökosystemmanagement optimiert, praktische Anwendungen in der biomedizinischen und landwirtschaftlichen Forschung sowie Einblicke in die Neuzusammensetzung von Gemeinschaft unter dem Klimawandel ermöglicht werden. Darüber hinaus zielte die Review darauf ab, Forschende dabei zu unterstützen, Ergebnisse, Forschungsmethoden und Schlussfolgerungen aus verschiedenen Disziplinen zu übernehmen und zu verbinden. Außerdem sollte das Interesse von Forschenden geweckt werden, die bisher noch nicht mit dem Konzept der Prioritätseffekte in Berührung gekommen sind, um sie zu ermutigen, den potenziellen Einfluss solcher Effekte in ihren eigenen Studien zu untersuchen. Die Zusammenarbeit und der Austausch von Erkenntnissen über Disziplinen hinweg bereichert nicht nur unser Verständnis biologischer und ökologischer Dynamiken, sondern unterstreicht auch die Verflechtung verschiedener Prozesse über Skalen hinweg. Und: Die interdisziplinäre Kommunikation gewinnt auch bei der Bewältigung der komplexen Herausforderungen unserer Zeit immer mehr an Bedeutung.

Wenn Sie Interesse haben, tiefer in diese Review einzutauchen und die mit Prioritätseffekten verbundenen Teilbereiche und Begriffe zu entdecken, finden Sie die Studie von Stroud und Kolleg:innen hier:
Stroud, J. T., Delory, B.M., Barnes, E.M. et al. Priority effects transcend scales and disciplines in biology. Trends in Ecology & Evolution. (2024). https://doi.org/10.1016/j.tree.2024.02.004

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