Wälder sind nicht nur schön anzusehen, sondern erfüllen auch eine Reihe wichtiger Ökosystemfunktionen. So bilden sie etwa ein Zuhause für viele Tiere und Pflanzen, reinigen unsere Luft und speichern Kohlenstoff. Wissenschaftlich ist dabei schon vielfach untersucht worden, dass sich die Funktionsfähigkeit von Wäldern verbessert, wenn mehrere Baumarten gemeinsam in einem Wald wachsen. Die Forschung, die die Auswirkungen von Biodiversität auf die Funktionsweise von Ökosystemen untersucht, nennt sich Funktionelle Biodiversitätsforschung: In Experimenten wird die Artenvielfalt verändert, um den Zusammenhang zwischen Biodiversität und Ökosystemfunktionen besser zu verstehen. Eine wichtige von diesen Ökosystemfunktionen ist die Produktivität, also das Wachstum der Bäume. Denn hierdurch nimmt nicht nur ihr Holzvorrat zu, sondern gleichzeitig wird durch die Photosynthese CO2 aus der Atmosphäre gebunden und im Baum in Form von Kohlenstoff gespeichert. Dass die Produktivität eines Waldes mit steigender Baumartenanzahl zunimmt, wurde in Studien bereits vielfach gezeigt. Was allerdings weniger untersucht ist: Warum ist das so?
Baumarten und Pilze – Ein besonderer Versuchsaufbau
Dieser Frage sind Tama Ray und ihre Kolleg*innen (2023), darunter Andreas Fichtner und Benjamin Delory vom Institut für Ökologie der Leuphana Universität Lüneburg, nachgegangen (Delory mittlerweile: Universität Utrecht). Für ihre Studie haben sie Daten aus dem Experiment myDiv genutzt. MyDiv ist ein Experiment, dass unter die oben beschriebene Funktionelle Biodiversitätsforschung fällt. Ziel des Experimentes ist es, den Zusammenhang zwischen ober- und unterirdischen Wechselwirkungen in Baumartenmischungen besser zu verstehen. Hier liegt die Annahme zugrunde, dass baumartenreiche Waldbestände, die unterschiedliche Mykorrhiza-Typen aufweisen am besten funktionieren. Eine Mykorrhiza ist eine komplexe Lebensgemeinschaft zwischen Pilz und Pflanze, von der beide profitieren. Dabei stehen die Pilze im Kontakt mit den Feinwurzeln der Pflanze und verbessern die Nährstoff- und Wasseraufnahme für die Pflanze und bekommen im Gegenzug von der Pflanze gebildete Kohlenhydrate. Es gibt viele verschiedene Mykorrhiza-Typen, die sich grob in arbuskuläre Mykorrhiza-Pilze (AM) und Ektomykorrhiza-Pilze (EM) einteilen lassen. Bäume temperater Breiten können sowohl mit AM als auch mit EM oder mit beiden Mykorrhiza-Typen assoziiert sein. AM und EM funktionieren unterschiedlich und haben andere Spezialisierungen.
Im MyDiv Experiment wurden nun sowohl der Einfluss der oberirdischen als auch der unterirdischen Diversität zusammen auf die Produktivität untersucht. Das heißt, es gab zwei Diversitäts-Variablen: Zum einen die Anzahl an Baumarten (entlang des Gradienten: Monokultur, zwei Baumarten gemischt, und vier Baumarten gemischt). Zum anderen die Typen von Mykorrhiza (AM, EM oder gemischt AM und EM). Die Bäume wurden im Jahr 2015 bei Bad Lauchstädt in Sachsen-Anhalt gepflanzt.
Was haben die Wissenschaftler*innen erwartet?
Vermutet haben Ray und Kolleg*innen, dass die höhere Baumartenvielfalt oberirdisch in einer komplexeren Struktur des Waldes resultiert, also zu einer Steigerung der strukturellen Komplexität führt. Die strukturelle Komplexität charakterisiert die verschiedenartige Verteilung der Baum-Biomasse im dreidimensionalen Raum: Verschiedene Baumarten haben unterschiedliche Baumhöhen und bilden unterschiedlich aufgebaute Kronen aus und nutzen damit den Platz im Kronenraum vielfältiger als es nur eine Baumart tun würde. Somit könnten die Bäume dann das zur Verfügung stehende Licht effizienter nutzen. Da alle Pflanzen zur Photosynthese, neben Wasser und Nährstoffen, Licht brauchen, könnte eine solch effizientere Lichtnutzung eine gesteigerte Photosyntheseleistung zur Folge haben und damit ein gesteigertes Wachstum. Ähnlich war die Vermutung bei einer höheren Mykorrhiza-Typenvielfalt: Aufgrund der unterschiedlichen Spezialisierung der verschiedenen Typen, gingen die Wissenschaftler*innen davon aus, dass die unterirdische Ressourcennutzung von Nährstoffen und Wasser in Beständen mit unterschiedliche Mykorrhiza-Typen effizienter ist und so ebenfalls zu einer gesteigerten Produktivität beiträgt.
Wie misst man die Komplexität der Waldstruktur?
Nicht nur der Versuchsaufbau, sondern auch die Messmethode in diesem Experiment ist besonders. Herkömmliche Messmethoden untersuchen die strukturelle Komplexität zweidimensional. In diesem Experiment wurde die strukturelle Komplexität allerdings dreidimensional mithilfe von terrestrischem Laserscanning erfasst und daraus ein Index der strukturellen Komplexität (SSCI) gebildet. Das heißt die konkrete Verteilung von Blättern, Zweigen, Ästen, und Stämmen der Bäume im Raum wurde durch einen Laser erfasst und in einen Zahlenwert übersetzt. Die Produktivität wurde jährlich anhand des Stammdurchmessers und der Baumhöhe jedes einzelnen Baumes gemessen.
Überraschende Ergebnisse
Die Wissenschaftler*innen haben dabei mehrere Dinge herausgefunden:
- Entgegen der Erwartung hat die Vielfalt an Mykorrhiza-Typen interessanterweise keinen Einfluss auf die Produktivität des jungen Waldes gehabt. Die Wissenschaftler*innen vermuten, dass dieser Effekt möglicherweise erst in älteren Wäldern als dem jungen Wald des Projektes eine Rolle spielen, da andere Studien in älteren Wäldern solche Effekte beobachten konnten.
- Mit zunehmender Baumartenvielfalt nimmt die strukturelle Komplexität zu.
- Mit dieser zunehmenden strukturellen Komplexität nimmt die Produktivität zu. Sprich, je komplexere Strukturen Baumbestände haben, desto besser wachsen Wälder.
Um den dahinter vermuteten Effekt der gesteigerten Lichtnutzung zu überprüfen, haben die Wissenschaftler*innen den Lichteinfall am Waldboden gemessen. Dabei haben sie herausgefunden, dass je weniger Licht am Waldboden ankommt, also je mehr Licht durch das Kronendach der Bäume bereits vorher aufgefangen wurde, desto stärker ist dieser Zusammenhang zwischen struktureller Komplexität und Produktivität. Somit haben Ray und Kolleg*innen geschlussfolgert, dass die steigende strukturelle Komplexität des Kronendaches den Wald besser wachsen lässt, weil das vorhandene Licht dann effizienter genutzt wird, und somit mehr Licht für Photosynthese und damit zum Wachstum zur Verfügung steht. Somit hat die steigende Baumartenvielfalt also einen indirekten Effekt auf das Wachstum des Waldes, weil sie die Struktur des Waldes komplexer macht, was dann wiederum den Wald besser wachsen lässt (siehe Übersicht). So sind im Experiment Wälder mit einer komplexeren Struktur fast doppelt so schnell gewachsen wie Wälder mit einer weniger komplexen Struktur.
Wunderbaumart oder Teameffekt?
Im nächsten Schritt wollten die Wissenschaftler*innen noch herausfinden, ob die beobachtete Produktivitätszunahme an einer bestimmten Baumart liegt oder durch den Mischungseffekt entstanden ist. Dafür haben sie das sogenannte „Overyielding“ ausgerechnet. Dieses beschreibt das gesteigerte Wachstum einer Baumart, das nur durch die Mischung mit anderen Baumarten für diese Baumart im Vergleich zur Monokultur dazukommt. Würde eine Buche in Monokultur also pro Baum 5 m3 im Jahr wachsen, in Mischung mit beispielsweise Eichen aber 8 m3 pro Jahr, dann würde dieser zusätzliche Zuwachs von 3 m3 im Jahr das Overyielding beschreiben. Das Overyielding beschreibt also den Netto-Biodiversitätseffekt der Baumartenmischung auf die Produktivität der einzelnen Baumart (die in dieser Mischung wächst). Dieser Effekt lässt sich mathematisch aufteilen in den Art-Identitäts-Effekt und in Komplementaritätseffekte. Ersteres wäre ein Effekt, den eine bestimmte Baumart zu verantworten hat, letzteres der Effekt durch die Mischung an Baumarten. Das lässt sich mit einer Fußballmannschaft vergleichen: Gewinnt ein Team, weil es eine bestimmte Fußballspielerin im Team hat, die viel besser als die anderen spielt, oder gewinnt es, weil das Team als Ganzes so gut zusammenspielt? Die Effekte in diesem Experiment ließen sich zum Großteil durch den Teameffekt erklären, sind also hauptsächlich Komplementaritätseffekte.
Lichtliebend und Schattentolerant ergänzt sich gut
Damit haben die Wissenschaftler*innen herausgefunden, dass die strukturelle Komplexität die Hälfte der Variation in der Produktivität erklärt und das wiederum zu fast zwei Drittel nur auf diesen Mischeffekt von Baumarten zurückzuführen ist. Diesen starken Effekt der Baumartenmischung selbst konnten die Wissenschaftler*innen mathematisch zurückverfolgen. So haben sie festgestellt, dass der Effekt am stärksten durch unterschiedliche Schattentoleranzen von Bäumen zu erklären ist. So können etwa Birken Schatten nicht gut vertragen, Buchen jedoch ziemlich gut und können somit gut unter den schnell wachsenden Birken gedeihen. Zusammen erschließt sich ihnen also mehr Raum, in dem sie optimal und damit komplexer wachsen können. Je vielfältiger also die vorhandenen Schattentoleranzen von Bäumen in einem Wald sind, desto besser und komplexer kann der Raum genutzt werden, wodurch mehr Licht eingefangen werden kann und somit mehr Licht für die Photosynthese bereitsteht, und somit der Wald besser wächst (siehe Übersicht). Zusätzlich hat auch die taxonomische Vielfalt (also die verschiedene Abstammungsgeschichte von Bäumen) einen Einfluss auf dieses stärkere Wachstum in Baumartenmischung. Warum genau konnten die Wissenschaftler*innen durch ihre Daten noch nicht erklären, es könnte laut ihnen aber an den unterschiedlichen Formen und Verzweigungsmustern von den Baumkronen der verschiedenen Baumarten liegen.
Wie können diese Erkenntnisse genutzt werden? – Klimawandel und Drohnen
Aus diesen Ergebnissen leiten sich auch wertvolle Implikationen für die Praxis, inklusive der Renaturierung von Wäldern ab: So sollten Baumbestände so gestaltet werden, dass sie mehrere Baumarten enthalten, die unterschiedliche Lichtansprüche haben. So würden die Wälder möglichst schnell wachsen und dabei oberirdisch größere Mengen Kohlenstoff speichern, was gerade im Hinblick auf den Klimawandel eine hohe Relevanz hat. Außerdem könnte zukünftig aufgrund der Ergebnisse die strukturelle Komplexität als Proxy für die Produktivität herangezogen werden. Im Zuge neuer sattelitengestützter Methoden sowie Drohneneinsätzen, könnte relativ schnell und großflächig die strukturelle Komplexität und damit Produktivität eines Waldes eingeschätzt und so etwa die Vorhersagekraft von Kohlenstoffmodellen verbessert werden.
Wenn Sie tiefer in das Thema einsteigen wollen, finden sie hier den wissenschaftlichen Fachartikel von Ray und Kolleg*innen: Ray, T., Delory, B. M., Beugnon, R., Bruelheide, H., Cesarz, S., Eisenhauer, N., Ferlian, O., Quosh, J., von Oheimb, G., & Fichtner, A. (2023). Tree diversity increases productivity through enhancing structural complexity across mycorrhizal types. Science Advances, 9(40), eadi2362. https://doi.org/10.1126/sciadv.adi2362
Titelbild: Strukturreicher Buchenwald in Schweden (Foto: Andreas Fichtner).